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Wirtschaftslexikon
Ausgabe 2017
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Bürokratie

Die Untersuchungen des deutschen Soziologen Max Weber (1864-1920) zur “büro­kratischen Herrschaft”, der ihretwegen häufig als der “Vater der Organisationstheorie” bezeichnet wird, zielten darauf, das Funktionieren großer Or­ganisationen mit dem Idealtypus der Bürokratie als formal rationalste Form der Herrschafts­ausübung zu erklären. Im Gegensatz zu Frede­rick Taylor und Henri Fayol, deren theoretische Bemühungen vorrangig darauf zielten, Prinzipien zur Optimierung betrieblicher Führung zu for­mulieren, wollte Weber zeigen, dass und wie es in großen Organisationen wie kapitalistischen Un­ternehmen gelingt, die Handlungen der Individu­en aufeinander zu beziehen, regelhaft zu verste­tigen und effizient zu einem Ganzen zu verbin­den.
Ausgangspunkt für Webers Arbeiten war das ra­sche Anwachsen großer Organisationen und die Erklärungsbedürftigkeit ihres Funktionszuwach­ses. Der Typus der legalen Herrschaft, der Herr­schaft kraft Satzung, hat in Kleingruppen noch keine Bedeutung; man kennt die wechselseitigen Handlungsgewohnheiten und kann über zukünfti­ges Handeln miteinander sprechen. Erst wenn diese Uberschaubarkeit der Handlungssituation im Zuge des Wachstums der Unternehmung ver­loren geht, müssen andere Mechanismen für die Ordnung, die Regelmäßigkeit und Zielgerichtet­heit im Handeln aller Organisationsmitglieder herangezogen werden.
Diese Mechanismen basieren auf Herrschaft (Autorität). Herrschaft bezeichnet nach Weber “die Chance..., für spezifische (oder: für alle) Be­fehle bei einer angebbaren Gruppe von Men­schen Gehorsam zu finden.” Wenn und soweit diese Chance langfristig besteht, wäre in der “Herrschaft” eine Erklärung für die dauerhafte - Koordination individueller Handlungen durch den Befehl (als Merkmal hierarchischer Organi­sationen) gegeben. Unternehmungen können dann auch als Herrschaftsverbände verstanden werden. Stabilität entsteht erst dort, wo nicht äu­ßerliche Situationsmerkmale, sondern die Aner­kennung des herrschaftlichen Anspruchs, der Legitimationsglaube, den Befehlen Geltung ver­schafft.
Die Frage, worauf dieser Legitimitätsglaube ba­sieren kann, führt zur Unterscheidung verschie­dener Herrschaftsformen als Kern der Weber­schen Analyse. Neben der traditionellen Herr­schaft und der charismatischen Herrschaft ist die legale Herrschaft für die Neuzeit die wichtigste Herrschaftsform. Bei ihr ist die Legitimation rational, weil ihre Bindung auf gesatzter Ordnung und nicht auf geltender Tradition oder der “außer­alltägliche(n) Hingabe an die Heldenkraft einer Person” beruht. Gehorsam gilt nicht der Person, sondern den Regeln. Die abstrakte Regelbin­dung und der Glaube an die Legitimität dieser Regeln ist das besondere der legalen Herrschaft, und die bürokratische Herrschaft ist ihr reinster Typus.
Kennzeichen des Idealtypus der bürokratischen Herrschaft ist eine genaue Festlegung von Amts­pflichten und präzise Abgrenzung von Autorität und - Verantwortung, ein festgelegtes System von Über- und Unterordnungen (Amtshierarchie), die nach festen, erlernbaren Regeln ablaufende Amtsführung und die Aktenmäßigkeit aller Vor­gänge. In diesen und weiteren formalen Merkma­len findet die bürokratische Herrschaft ihren kon­kreten, für die Handlungskoordination bedeutsa­men Niederschlag.
Die Erfahrung lehre, so meinte Weber, dass sie die vom Standpunkt der technischen Aufgaben­bewältigung her gesehen effizienteste Form zur Organisation großbetrieblicher Aufgabenvollzüge in der Wirtschaft und darüber hinaus in Staat, Kir­che, Militär darstelle. Der Kapitalismus hat da­nach eine zentrale Rolle in der Entwicklung und Ausbildung von bürokratischen Strukturen ge­spielt, da er ja auf Rechenhaftigkeit, Genauigkeit, Stabilität und Effizienz angelegt sei und alle die­se Eigenschaften in der Bürokratie am besten zur Geltung kämen. “Der entscheidende Grund für das Vordringen der bürokratischen Organisation war von jeher ihre rein technische Überlegenheit über jede andere Form. Ein voll entwickelter bürokratischer Mechanismus verhält sich zu die­sen genau wie eine Maschine zu den nicht me­chanischen Arten der Gütererzeugung. Präzisi­on, Schnelligkeit, Eindeutigkeit, Aktenkundigkeit, Kontinuierlichkeit,  Diskretion, Einheitlichkeit, straffe Unterordnung, Ersparnisse an Reibungen, sachlichen und persönlichen Kosten sind bei streng bürokratischer, speziell: monokratischer Verwaltung durch geschulte Einzelbeamte ... auf das Optimum gesteigert.”
Demgegenüber analysierte der amerikanische Soziologe Robert K. Merton als schwerwiegende Dysfunktionen der Bürokratie die unzureichende - Flexibilität in der Anwendung von Fähigkeiten, die Entpersönlichung von Beziehungen sowie vor allem die Verschiebung der Aufmerksamkeit von den Zielen der Organisation auf die Mittel, die häufig zum Selbstzweck werden:
“1. Eine effektive Bürokratie erfordert Verläßlich­keit in der Reaktion und strikte Befolgung des Reglements.

2. Solche Treue den Regeln gegenüber führt zu ihrer Umformung in absolute Werte; sie werden nicht mehr bezogen auf vorgegebene Zielsetzun­gen.

3. Dies stört eine rasche Anpassung unter be­sonderen Bedingungen, die zur Zeit der Formu­lierung der allgemeinen Regeln nicht klar voraus­gesehen wurden.

4. So erzeugen gerade jene Elemente, die im all­gemeinen zur Effektivität führen in spezifischen Fällen Ineffektivität.”





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