Home | Finanzlexikon | Wirtschaftslexikon | Überblick
Wirtschaftslexikon
Ausgabe 2017
Suche :        
   A   B   C   D   E   F   G   H   I   J   K   L   M   N   O   P   Q   R   S   T   U   V   W   X   Y   Z   

Tarifvertrag

(engl. wage agreement/contract, labor agreement) Der Tarifvertrag (siehe auch Vertrag) ist eine der zentralen Rechtsquellen des deutschen Arbeitsrechts. Im Tarifvertrag werden gemäß Tarifvertragsgesetz die Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien geregelt und Rechtsnormen vereinbart, die den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen ordnen und regeln können. Tarifvertragsparteien sind Gewerkschaften, + Arbeitgeber sowie Vereinigungen von Arbeitgebern (Arbeitgeberverbände). Die Tarifvertragsparteien verhandeln und vereinbaren Tarifverträge autonom. Die Tarifautonomie verbietet dem. Staat jegliches Eingreifen in die Verhandlung und Vereinbarung von Tarifverträgen. Das Recht, Vereinigungen zum Abschluss von Tarifverträgen zu bilden, leitet sich aus der Koalitionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) ab. Hierdurch wird das Recht gewährleistet, zur «Wahrung und Förderung der Arbeits und Wirtschaftsbedingungen» Vereinigungen zu bilden. Diese Vereinigungen sind Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände.

Das Tarifvertragsgesetz regelt die Rechtsbeziehungen der Tarifvertragsparteien und die Geltung des Tarifvertrages. Ein Tarifvertrag kommt demnach zustande, wenn zwei tarifgebundene Parteien einen solchen vereinbaren. Die Tarifbindung resultiert aus der Zugehörigkeit zu einer Tarifvertragspartei oder daraus, dass ein Arbeitgeber selbst Tarifvertragspartei ist. Tarifverträge gelten unmittelbar und zwingend und können nicht durch andere Rechtsquellen außer Kraft gesetzt werden. Abweichungen von Tarifverträgen sind entweder mit der Zustimmung der Tarifvertragsparteien oder für den Fall möglich, dass die abweichende Norm eines Arbeitsvertrages oder einer Betriebsvereinbarung für den Arbeitnehmer günstiger ist als die des Tarifvertrages («Günstigkeitsprinzip»). Auch ein Verzicht auf entstandene tarifliche Rechte ist nur auf der Basis eines von Tarifvertragsparteien gebilligten Vergleichs möglich. Im Rahmen von Tarifverhandlungen sind unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit auch Arbeitskampfmaßnahmen durch Streik und Aussperrung zulässig. Andere Ziele dürfen durch einen Arbeitskampf nicht verfolgt werden. Tarifverträge haben eine definierte Laufzeit und können unter Wahrung von vereinbarten Fristen einseitig gekündigt werden. Sofern die Tarifvertragsparteien nichts Abweichendes ,vereinbaren, wirkt ein gekündigter Tarifvertrag so lange nach, bis eine Folgevereinbarung getroffen wurde.

In Deutschland galten zum Ende des Jahres 2002 rund 57 000 Tarifverträge, die nach Geltungsbereich und Regelungsgegenstand unterschieden werden. Der Geltungsbereich wird fachlich, räumlich und persönlich differenziert. Der Flächentarifvertrag wird auf Verbandsebene für eine Branche (z. B. Kfz Handwerk) oder einen ab grenzbaren Wirtschaftsbereich (z. B. Metall und Elektroindustrie) mit definierter geographischer und persönlicher Abgrenzung vereinbart. Der Firmentarifvertrag oder Haustarifvertrag grenzt den Geltungsbereich auf ein Unternehmen oder einen Betrieb ein (z. B. Volkswagen AG). Abweichend hiervon kann der Geltungsbereich eines Tarifvertrages auch auf nicht tarifgebundene Arbeitnehmer und Arbeitgeber ausgedehnt werden. Dies ist im Einvernehmen mit den Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit möglich. Die Voraussetzungen hierfür regelt ebenfalls das Tarifvertragsgesetz. Zwingend erforderlich sind die Geltendmachung eines öffentlichen Interesses oder die «Behebung eines sozialen Notstandes».

Tarifverträge regeln alle relevanten Inhalte des Arbeitsverhältnisses. Hierzu zählen insbesondere das Entgelt (Entgelttarifverträge bzw. Lohn oder Gehaltstarifverträge) sowie die Arbeitszeit (Arbeitszeittarifverträge). Darüber hinaus werden allgemeine Arbeitsbedingungen (z. B. Kündigungsfristen [ + Kündigung], besondere Schutzbestimmungen für ältere Arbeitnehmer, Urlaub, bezahlte Freistellungen in besonderen Fällen, Probezeit, besonderes Urlaubsentgelt, Jahreszahlungen) in Manteltarifverträgen vereinbart. Gleiches gilt für die Arbeitszeit, sofern kein separater Arbeitszeittarifvertrag existiert. Die zentralen Regelungsgegenstände der Arbeitszeit sind deren Dauer, Lage und Verteilung sowie der zulässige Umfang von Mehrarbeit und deren besondere Vergütung.

Tarifvertragliche Regelungsinhalte können jedoch weit darüber hinaus reichen und prinzipiell alle Aspekte des Arbeitsverhältnisses berühren, die nicht abschließend durch den Gesetzgeber geregelt worden sind. Beispiele hierfür sind Tarifverträge zur Qualifizierung von Arbeitnehmern, zum vorzeitigen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben oder zur Gewährung von zusätzlichen vermögenswirksamen Leistungen durch den Arbeitgeber. Tarifverträge können auch gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien begründen, die die Gestaltung des Arbeitsverhältnisses i. d. R. überbetrieblich beeinflussen. Beispielhaft hierfür ist die umlagenfinanzierte Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes.

Die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland räumt somit den Tarifvertragsparteien eine erhebliche Gestaltungsfreiheit ein. Mit dieser Gestaltungsfreiheit wird die Entwicklung des Tarifsystems zur Tarifpolitik, die sich im Spannungsfeld gesellschaftlicher Interessen bewegt. Dieses Spannungsfeld wird sowohl durch die Auseinandersetzung um die Inhalte als auch die Wirkungen von Tarifpolitik geprägt. Inhalte und Wirkungen beziehen sich aufeinander und sind nicht zu trennen. Das sicher relevanteste Spannungsfeld bezieht sich auf die Beschäftigungswirkung von Tarifpolitik. Die Entwicklung von Entgelten und Arbeitszeiten wird von Gewerkschaften wie Arbeitgebern entweder stärker verteilungs oder stärker kostenbezogen beurteilt. Verteilungsbezogen erwarten die Gewerkschaften von der Tarifentwicklung eine Steigerung der Entgelte, die die Inflationsrate (Inflation) ausgleicht und damit die Kaufkraft der Arbeitnehmereinkommen erhält. Darüber hinaus soll die Tarifentwicklung auch den Produktivitätsfortschritt (Produktivität) widerspiegeln und eine Umverteilung von Gewinn (Gewinn) zu Arbeitseinkom men (Lohn) ermöglichen. Mit dieser Steigerung soll gleichzeitig die gesamtwirtschaftliche Nachfrage gestärkt und Spielraum für Wachstum geschaffen werden. Die kostenbezogene Gegenargumentation der Arbeitgeber hält dem entgegen, dass eine Steigerung des Entgelts oberhalb der Produktivitätsentwicklung zu einer Erhöhung der Personalkosten und damit zu einer Gefihrdung der ~ Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen führen müsse. Die Vernichtung von Arbeitsplätzen sei die Folge. Die Alternative seien variable Entgelte, deren Höhe stärker von der wirtschaftlichen Lage der Unternehmen und individueller Leistung abhängig ist.

Eine vergleichbare Polarität ist hei der Debatte um die Entwicklung der Arheitszeiten zu verzeichnen. Die Verkürzung; der Arbeitszeit ist für die eine Seite ein Instrument zur Umverteilung eines knapper gewordenen Arheitsvolumensund für die andere Seite eine Quelle zur Erhöhung von Personalkosten und Verknappung dringend benötigter Qualifikationen.

Diese tarifpolitische Polarisierung hat über Einzelfragen hinaus zu einer grundsätzlichen Kontroverse um den beschriebenen Ordnungsrahmen des Tarifsystems und die Regelungskompetenz der Tarifvertragsparteien geführt. Der zentrale Punkt dieser Auseinandersetzung ist die Infragestellung der unmittelbaren und zwingenden Wirkung von vereinbarten Tarifnormen geworden. Hierbei soll die grundsätzliche Möglichkeit eingeräumt werden, dass die Betriebsparteien (Betriebsrat und Betrieb) abweichende Regelungen vereinbaren dürfen, die auch ungünstiger sein können. Damit würde ein neuer Ordnungsrahmen geschaffen. Die Gewerkschaften sehen hierin die Gefahr, mit der geforderten Verlagerung der Gestaltungskompetenz auch ihre Wirkungsfähigkeit zu verlieren und somit ihre Existenzfähigkeit als Koalition gemäß Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz (GG), die Arbeitgeber sehen hierin jedoch eine Notwendigkeit, um das Tarifsystem anpassungsfähiger an betriebliche Besonderheiten zu machen.





<< vorhergehender Fachbegriff
 
nächster Fachbegriff >>
Tarifautonomie
 
technischer Fortschritt
 
Weitere Begriffe : Dispositionskredit | Internet | Bausparen
 
Copyright © 2017 Wirtschaftslexikon.wiki
Finanzlexikon | Wirtschaftslexikon | Nutzungsbestimmungen | Datenschutzbestimmungen | Impressum
All rights reserved.